"Gemeinsame Zukunftssicherung" - Betrachtungen zur Konzernethik eines Multis
Einige Transportunternehmer haben in den letzten Tagen Post bekommen.
Absender: die Siemens AG. Und es handelt sich um einen durchaus freundlichen Brief. Jeder
mittelständische Transportunternehmer muss sich doch darüber freuen, wenn sich eine so große
Aktiengesellschaft wie Siemens die Mühe macht, ihn – einen „wichtigen Lieferanten“ - persönlich
über die „Neuausrichtung des Strategischen Einkaufs“ und den erhofften Erfolg seines
„Turn-around“-Programms zu informieren. Und fast ist der Unternehmer geneigt, sich entspannt
zurückzulehnen, wenn er liest, dass die „strategischen Kernlieferanten“ – und damit ist sicher er, der
Mittelständler, der immer hohe Leistungsqualität geboten hat, gemeint – von der zukünftigen
Marktstärke von Siemens „profitieren werden“.
Erst der Satz, im Gegenzug solle er „sämtliche Kostensenkungspotentiale ausschöpfen und diese im
Sinne einer gemeinsamen Zukunftssicherung weitergeben“, lässt unseren mittelständischen
Unternehmer aufhorchen. So werde Siemens „die Zahlungsbedingungen dahingehend anpassen, dass
der jeweilige Rechnungsbetrag in 90 Tagen ohne Abzug von Skonto fällig gestellt wird. Zusätzlich
erwarten wir von unseren strategischen Lieferanten eine Senkung der Einstandspreise um
mindestens 15 %.“ Und um dem Unternehmer keine allzu große Mühe zu bereiten, liegt eine
kurzfristig zurückzusendende Einverständniserklärung gleich bei.
Verlassen wir zunächst unseren Transportunternehmer und wenden uns dem Verlader zu. Ist ein
solches Schreiben, das den Transportunternehmer offen dazu zwingen soll, aus Furcht vor dem
Verlust eines wichtigen Kunden („wesentliche Einkaufsvolumina werden auf Basis Ihrer
Kooperationsbereitschaft neu verteilt“) Preisdumping zu betreiben, eigentlich mit der
Unternehmensethik dieses Großkonzerns vereinbar? Glaubt der „Chief Procurement Officer“ – so
nennt man wohl heute unverschämte Preisdrücker etwas verbrämt - ernsthaft, Transportunternehmer verfügten
noch über solche Gewinnmargen, oder ist ihm längst bewusst, dass dieser Transporteur alsbald aus
dem Markt ausscheiden und durch einen anderen Dienstleister zu ersetzen sein wird?
Menschenverachtung und Ausbeutung als Geschäftsprinzip? Wo liegen die im Schreiben zitierten
„Kostensenkungspotentiale“? In der Flucht aus dem Standort Deutschland? In der Absenkung sozialer
Standards oder gar von Verkehrssicherheitsstandards? Getreu dem Motto: Unfälle und soziale
Ausbeutung sind nicht mein Problem, sondern der Markt gibt es her. An der Rettungs- und
Gesundheitstechnik verdient der Konzern ohnehin ein zweites Mal. Der Zweck heiligt die Mittel!? Eines
fällt noch zusätzlich auf: die vom Verlader geforderte Absenkung um 15 % erinnert unwillkürlich an
die durch die geplante Mauterhebung zu erwartende Steigerung der Transportkosten um ebenfalls 15 %.
Sollte der Verlader im Sinne seiner Zukunftssicherung bestrebt sein, die zu erwartende
Transportpreissteigerung im Zuge der Mauterhebung im vorhinein schon mal zu neutralisieren?
Zurück zu unserem mittelständischen Transportunternehmer. Angesichts der vom Bundesamt für
Güterverkehr wie von anderen Experten zur Zeit zu beobachtenden Krise des deutschen
Verkehrsgewerbes könnte sich dieser Unternehmer anstatt durch seine Unterschrift unter die
Einverständniserklärung besser gleich in die Schlange derer einreihen, die in nächster Zeit vom
Transportgewerbe zum Insolvenzverwalter und zum Sozialamt gehen. Großkonzerne sind davon nicht
belastet, weil sie dank Eichel’scher Fehlkonstruktion und Körperschaftssteuergeschenke ohnehin
nichts zum Sozialbudget beitragen.
Quelle: Bundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsorgung (BGL) e.V.
Frankfurt am Main, den 22.08.2002